Der angeleinte Hund

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Illustration: Katharina Reinsbach

 

 

ODER: Fragen kostet doch nichts...........

 

Für viele Hunde ist der tägliche Spaziergang an der Leine nervenaufreibender, als das ihren Menschen oft bewusst ist. Gerade wer zum ersten Mal sein Leben mit einem Caniden teilt denkt oft, dass Hunde immer und überall Kontakt zu anderen Hunden haben wollen. Dieser Gedanke ist nachvollziehbar und nett gemeint. Dem ist aber nicht immer so........

Die Hundedichte in Berlin ist sehr hoch. Ich stelle mir gerade vor, ich müsste täglich zu etwa 15 fremden Leuten Kontakt aufnehmen, während ich einfach nur mal ein bisschen in Ruhe von A nach B laufen möchte. Kurz quatschen, ein paar Smalltalk-Informationen zur Person austauschen und dann weiterziehen. 15 Mal. Dieses Maß an erzwungenem "Socialising", wie man so schön sagt, würde bei mir persönlich ziemlichen Stress auslösen. Auch unsere Hundecharaktäre sind in ihren Bedürfnissen und Persönlichkeiten sehr unterschiedlich.

Vielleicht ist der mir entgegen kommende Hund ein Rüde, der generell nicht besonders gut auf Geschlechtsgenossen zu sprechen ist und nun innerhalb seiner persönlichen und in täglicher Schwerstarbeit gesteckten Reviergrenzen auf einen potentiellen Eindringling und Konkurrenten stößt. "Schon wieder so einer. Wie kommen die Menschen nur auf die absurde Idee, dass ich, auch noch an der Leine, mit diesem Störfaktor in freundlichen Kontakt gehen möchte. Er, und all die anderen Kerle, die sich ungefragt in meinem Territorium aufhalten, werden niemals meine besten Freunde." Oder eine Hündin, die andere Hunde zwar duldet aber nicht ihre persönliche Individualdistanz unterschritten wissen möchte. Ob diese nun 50 cm oder 5 m umfasst, entscheidet der Hund, nicht der Mensch.
Vielleicht ist der Hund auch ein kleiner Hund, der schon des Öfteren von größeren Hunden sehr unwirsch und ungehemmt an der Leine überfallen wurde. Mit Anpirschen, Fixieren, Verunsichern und Losspringen und der innerlich bei jedem neuen Hund zu beten beginnt. Denn weg kann er nicht, das weiß er. Und auf seinen Menschen verlassen, dass dieser die Situationen regelt und ihm die ungebremsten Hunde vom Leib hält, kann er sich leider auch nicht. Auch das hat er gelernt.
Dann gäbe es da noch die unzähligen ausländischen Tierschutzhunde in Berlin. Die zum Teil schlechte Erfahrungen mit anderen Hunden gemacht haben oder viel zu wenige Erfahrungen und die extrem unsicher bis verängstigt durch die Stadt laufen. Zum einen müssen sie sich erst mal an diesen Lärm, die vielen Reize, Menschen, Fahrradfahrer, rennende Kinder, Geschrei, Autos, Tram, Baustellen etc. gewöhnen und dann, als wäre das nicht schon genug, auch noch im gefühlten 4-Minuten-Takt mit wildfremden Hunden auseinandersetzen. Angeleint - also im Zweifel in der Falle. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um sich wohl zu fühlen und positiv gefärbte Erfahrungen mit anderen Hunden zu sammeln.
Auch Welpen haben es nicht leicht. Zum Glück wissen heute die meisten Menschen, dass es keinen Welpenschutz gibt und sind dann zumindest bei ihren Welpen noch vorsichtiger im Kontakt. Viele Welpen sind aber schlicht überfordert, mit den ständigen Hundekontakten. Sie müssen sich erst mal an diese Welt und die Stadt und auch die Leine gewöhnen und sie sind klein und haben noch keine Strategien erlernen können, sich gegenüber aufdringlichen anderen Hunde zu positionieren. Vor allem an der Leine, ohne die Möglichkeit auszuweichen, sich zurückzuziehen. Stress. Da wäre eine gut geführte Welpenspielstunde mit genügend Bewegungsfreiheit erst einmal angemessener.
Ähnlich geht es Hunden, die Schmerzen empfinden, nach einer OP oder die generell an einer Krankheit, z.B. chronischen Gelenkproblemen leiden. Für sie ist jeder nicht freiwillig aufgesuchte Kontakt zu anderen Hunden eine mögliche Quelle für Schmerz.
Und nicht zu vergessen die läufigen Hündinnen und deren Menschen, die sich zweimal im Jahr permanent Rüden vom Hals halten und oft auch noch rechtfertigen müssen. Auch läufige Hündinnen müssen irgendwo in der Stadt angeleint spazieren gehen. Mit möglichst wenig Übergriffen.

Die sogenannte "Leinenaggression" ist demnach oft ein hausgemachtes Problem. Wer den beschriebenen Querschnitt möglicher Stressfaktoren für angeleinte Hunde betrachtet und weiß, dass diese keine Ausnahmen darstellen, sondern dass es tatsächlich vielen Hunden so geht, der versteht, dass ein Kontakt zwischen fremden Hundeindividuen, an der Leine, ohne Mitspracherecht des Hundes, einfach nicht immer die beste Idee ist. Irgendwann fangen viele Hunde an, sich selbst zu helfen. Es tut ja sonst keiner.
Klar, es gibt auch den Typ Labrador, der Kontakt zu anderen Hunden liebt, nicht genug davon kriegen kann, nach dem zwanzigsten Hund noch weiter machen will. Und zum Glück gibt es auch viele souveräne Hunde, die mit solch engen Situationen mit fremden Hunden gut umgehen können. Aber genau wie beim Menschen sind nicht alle Hunde vom Typ Labrador und ständig auf der suche nach Kontakt oder souverän vom Persönlichkeitstyp her.

Ich wünschte mir für Hundebegegnungen mehr Rücksichtnahme untereinander. Dass man sich, wenn man einem angeleinten Hund begegnet, einmal kurz fragt: "Könnte es einen Grund haben, dass dieser Hund an der Leine läuft? Trifft vielleicht einer der aufgeführten Punkte auf ihn zu? Ist er ängstlich, krank oder einfach ein introvertierter Typ, der bitte einfach seine Ruhe haben möchte?" Und dann die logische Konsequenz daraus, die höfliche Frage an den Menschen, ob Sozialkontakt, hier und jetzt, im angeleinten Zustand erwünscht ist, oder ob man sich lieber später ohne Leine auf der Hundewiese treffen sollte. Auf der die Hunde die Möglichkeit haben freiwillig und richtig miteinander zu kommunizieren.
Damit der tägliche Spießrutenlauf für viele Hunde und deren Halter ein Ende hat. Das kann einen hohen Leidensdruck für alle Beteiligten darstellen, die oft nur noch nachts spazieren gehen.
Wenn wir alle wieder anfangen nachzufragen und uns gegenseitig darüber aufklären, dass Kontakt an der Leine großer Stress für Hunde sein kann, dann besteht vielleicht die Möglichkeit, den Hunden und ihren Haltern in Zukunft ihren Dauerstress durch mehr Zurückhaltung und weniger Aufdringlichkeit zu mildern.


Im Namen dieser Hunde und ihrer Menschen: Danke!

 

 

 
Posted on March 10, 2018 and filed under Rücksicht und Miteinander, Alltag mit Hund.