Will er wirklich nur spielen?

 
Hundeschule LottaLeben Hundetraining Berlin Spielaufforderung Fixieren

Den Unterschied zwischen einer Spielaufforderung - und Fixieren mit Anschleichen und Überfalldrohung erkennen

Viel zu viele Hundebesitzer, oftmals natürlich Ersthundebesitzer, die das Verhalten ihres Hundes noch nicht so ganz einschätzen können, erlauben ihren Hunden das Fixieren / Anstarren fremder Hunde, mit bedrohlichem Anschleichen und dem Androhen eines Überfalls. Der dann oft auch folgt. Die Kontrolle haben sie über ihren Hund längst nicht mehr, wissen dies auch und versuchen mit den altbekannten Sätzen: „Der tut nix. / Der will nur spielen.“ die Situation zu entschärfen. Irgendwie ist schon klar, dass die meisten anderen Hundehalter, vor allem, wenn der Hund wesentlich kleiner und leichter ist oder ängstlich etc. und auch die meisten anderen Hunde das Verhalten nicht o.k. finden. Aber leider folgt keine Konsequenz daraus. Dies nämlich beim nächsten Hund nicht mehr zu erlauben. Wem wirklich noch nicht klar ist, was Fixieren bei Hunden (und auch beim Menschen) auslösen kann, für den hier noch mal im Detail eine Erklärung, um den Unterschied zur Spielaufforderung in Zukunft besser erkennen zu können.

Ratet bei den folgenden beiden Bildern mit den abgebildeten Hunden mal spontan aus dem Bauch heraus, wo es sich um Spielaufforderungen handelt (entschärfend, einladend, deeskalierend, entspannt, witzig) und wo um Fixieren mit Überfalldrohung (einschüchternd, steif, verunsichernd). Bestimmt liegt ihr richtig. :-)

Hundeschule LottaLeben Hundetraining Berlin Spielaufforderung

Bild 1

Hundeschule LottaLeben Hundetraining Berlin Drohfixieren

Bild 2

Richtig!

Dazu ein paar aufklärende Definitionen aus der Verhaltensforschung:

Bild 1: Vorderkörper-Tief-Stellung / Spielaufforderung (“bow”)

„Der Hund senkt den Vorderkörper, die im Ellenbogengelenk stark gewinkelten Vorderbeine werden seitlich gespreizt gehalten, der Schwanz wedelt, der Kopf des Tieres wird eventuell schief gehalten oder auch ruckartig hin und her bewegt. Dazu kann gebellt werden. Aus dieser Stellung heraus kann der Hund plötzlich hochspringen und /oder weglaufen, unter meist übertriebenem Kopfwenden – als Einleitung eines Rennspieles, wobei er in diesem Fall die Rolle des „Verfolgten“ übernimmt
”....Das Gesicht ist dabei entspannt, ein „Spielgesicht“, für das ruckartiges Augenverdrehen, kurzes Maulaufreißen und andere Spielausdrücke typisch sind. Zumeist wird ein anderes Tier fixiert,
jedoch in keiner Weise drohend...
Es wird zudem beschrieben, dass „bows“ fast ausschließlich im Kontext des Sozialspiels auftreten.

*Quellen:
Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, Hundepsychologie, 2004
Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, Ausdrucksverhalten beim Hund, 2008

Zusatz: Eine Spielaufforderung findet nie auf die Distanz mit fremden Hunden statt. Sie ist Teil des Sozialspiels. Und der Po biegt sich in die Luft! :-)

Bild 2: Fixieren mit Überfalldrohung

Fixieren:
Beim Fixieren wird der Kopf ganz still gehalten, die Augen sind zur optischen Orientierung auf die Informationsquelle gerichtet, die Ohren werden zur akustischen Orientierung mehr oder weniger weit geöffnet nach vorne gerichtet. Der Hund sieht mit weit geöffneten Augen direkt und fixierend dem Gegner in die Augen.

Überfalldrohung:
Bei der Überfalldrohung fixiert das Tier seinen Gegner ohne Zähneblecken und knickt alle Beine leicht bis so stark ein, dass es fast zum Liegen kommt. Der Abstand zum Gegner kann dabei bis zu 30m betragen.

Anschleichen:
In der Haltung und mit der Mimik der Überfalldrohung erfolgt die Annäherung langsam und mit eingeknickten Beinen. Das Anschleichen kann mehrmals durch Vorstehen unterbrochen werden.

Spannend sind in diesem Zusammenhang auch folgende Verhaltensweisen, die zum offensiven Drohverhalten gezählt werden:
Anschleichen, Blickkontakt (Fixieren), Überfalldrohung, Haarsträuben, Knurren, Vorn-Zähneblecken, Beißdrohstellung

*Quelle: Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, Ausdrucksverhalten beim Hund, 2008


Es ist einfach für das Miteinander in einer Stadt mit etwa 115.000 (gemeldeten) Hunden nicht förderlich, wenn ein so rauer, übergriffiger Umgang herrscht. Wenn ein Hund mit geballter Faust und Bomberjacke auf andere zu rennen darf und dabei das Klappmesser in der Tasche mal ein bisschen rasseln lassen darf, zur Begrüßung einen blauen Fleck auf der Schulter hinterlässt, um am Ende zu sagen: „Ach komm, alles gut Alter, ich wollte nur mal kurz klar machen, wie die Verhältnisse verteilt sind, lass uns gemeinsam ein Bier trinken gehen.“, dann kommt das nicht immer gut an. Sogar eher selten. Wie kommt es dann aber, das hin und wieder doch ein Spiel daraus entsteht und dieses gelegentliche Spiel einem die (leider falsche) Rückmeldung gibt, es wäre eine normale Spielaufforderung unter Hunden?

 Die aus meiner Erfahrung 5 häufigsten Reaktionen auf starres Fixieren mit Überfall:

1.
Der angepeilte Hund ist körperlich überlegen und /oder tiefenentspannt und reagiert einfach gar nicht. Er kann es sich leisten, den drohenden Flegel zu ignorieren. Es entsteht i.d.R. auch kein Spiel.
2.
Der adressierte Hund reagiert mit Stress, Unwohlsein, will ausweichen oder sogar fliehen. Jeder der einen vierbeinigen Proleten als Begleiter hat, hat diese Reaktion schon gesehen und nein, die Schuld liegt nicht beim Opfer! So etwas wird in Zukunft bitte vermieden.
3.
Der Überfallene (gemeinerweise vielleicht auch noch angeleint) reagiert (zu Recht!) mit abwehrender Aggression. Es kann eine Beißerei folgen.
4.
Das Gegenüber ist genauso ein hemmungsloser, ungebremster Knallkopp wie meiner, nimmt die Herausforderung an. Es kommt zu einer Szene wie in einem Western. „Ha, das Spiel kenne ich, ich werde dich zuerst verunsichern!“. Irgendwann prescht einer völlig ungehemmt los. Man ballert ineinander und dann folgt oftmals ein wenig freundliches Jagdspiel mit Zwicken in Rute, Hinterläufe oder sogar dem Versuch, im Nacken zu packen und nieder zu reißen, um weiterhin die eigene Überlegenheit klar zu machen. Und in eher seltenen Fällen, wird daraus tatsächlich ein richtiges Spiel. Oftmals bei Junghunden, denen der Ernst der Situation noch nicht klar ist. Was für ein schlechter Schnitt. Unzählige Hunde zu verunsichern und zu stressen, um am Ende mit einem ein Spiel zu haben. Das ist ganz einfach nicht cool.

Sind also alle Jagdspiele generell als negativ zu bewerten? Nein, natürlich finden Jagdspiele, in einem völlig anderen Kontext, ganz üblich bei Hunden statt. Hunde, die sich kennen oder Zeit hatten, sich ein wenig kennen lernen zu dürfen. So, dass sie den anderen einigermaßen einschätzen können. Wenn das Welpen-Geschwisterchen auflauert, dann ist das ein Spiel. Wenn zwei Hundekumpels sich fixieren und jagen, dann ist das ein stressfreies, positiv zu bewertendes Spiel. Und selbst zwischenartlich funktioniert das. Wer hat seinen eigenen Hund noch nie auf der Wiese fixiert, sich dann angeschlichen und ist ruckartig losgelaufen? Daraus wird ein kleines, nettes Jagd-Spielchen zwischen Hund und Halter. Das mache ich aber doch nicht mit fremden Hunden und auch nicht am zweiten Tag, nachdem ich meinen Tierschutzhund abgeholt habe.... Entweder man kennt sich, oder es handelt sich eben um Fremde. Das macht den entscheidenden, großen Unterschied, wie sich die Adressaten dabei fühlen.

Der intakte Rüde einer Kundin wurde in relativ kurzer Zeit drei Mal von fixierenden, losstürmenden Rüden attackiert. Wie fühlen die beiden sich wohl in Berlin, wo man ständig drohfixierenden Hunden begegnet? Klar, Adrenalin und Stress pur. „Ist das einer von denen, die „nur“ grob schubsen wollen oder gibt es den nächsten Beißvorfall....?“

Hier noch das Schlusswort eines Hundetrainers.

Es ist, man höre und staune, nicht so, dass Hundetrainer-Hunde zu 100% hören und funktionieren. Denn Hundetrainer-Hunde sind auch nur Hunde und Hundetrainer sind auch nur Menschen. Man muss sich nicht mit seinem Hund identifizieren und sich persönlich angegriffen fühlen, wenn jemand zu Recht sagt, er möchte diese forsche Art und Weise nicht und er möchte mit seinem Hund bitte in Ruhe gelassen werden. Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone zu sagen: „Tut mir wirklich leid, ich habe gerade geträumt.“ oder „Sorry, ich habe die Situation falsch eingeschätzt.“ Auch mit den größten Mühen machen wir und unsere Hunde Fehler. Wichtig ist nur, dass ich mir den Durchschnitt ansehe. Wenn mein Hund 9 von 10 x top hört, super, dann vertraue ich ihm. Sonst nicht! Aber es wird sicher trotzdem mal was schief gehen. Und daraus lerne ich dann und mache es beim nächsten Mal besser. Und übe und übe und übe. Und wenn mein Ansatz nicht klappt, hole ich mir weiteres Input. Bis es klappt. Und wenn ich im Training ein paar Schritte zurück gehen muss und meinem Hund viel zu früh viel zu viele Freiheiten gegeben habe, und er sich mir völlig entzieht, dann gehe ich diese Schritte zurück. Auch wenn es frustrierend ist und anstrengend. Und keiner Schleppleinen wirklich großartig findet. Niemand hat gesagt, dass es einfach ist, einen Hund ohne Leine durch eine Großstadt zu lenken. Einfach trotzdem laufen lassen ist schlichtweg rücksichtslos. Wer die Verantwortung nicht übernehmen will und die Arbeit nicht leisten will, der hätte sich besser einen Hamster oder eine Katze nach Hause holen sollen. Ja, es ist anstrengend. Und ja, Rücksicht auf andere nehmen war schon immer anstrengend. Aber wat mutt, dat mutt....


Ein paar Informationen noch zum Border Collie, wen es interessiert:

Extremes Fixieren und Anschleichen, das sogenannte „Eye“ beim Border Collie kennen mittlerweile viele Hundemenschen. Schafe fürchten sich vor diesem abgeduckten Anpirschen und fliehen, lassen sich gut treiben. Der Hund treibt sie schleichend. Manche Border Collies laufen sogar im Normalzustand, also nicht während der Arbeit, auffallend viel in geduckter Haltung. Der schottische Border Collie ist eine recht junge Rasse und unterscheidet sich deutlich von den ursprünglichen, kontinentalen Hütehunden.

Anders als diese arbeitet der Border Collie (und verwandte Rassen) über Jagdverhalten und nicht über Kommunikation, dem „Zurechtweisen“ der Schafe. Sein Hüteverhalten ist eigentlich Jagdverhalten. Im Laufe seiner Entstehung wurden Jagdhunde / Vorstehhunde eingekreuzt, vermutlich der Pointer. Genetisch hat der Border Collie kaum noch etwas mit einem Hütehund zu tun, er steht den Jagdhunden wesentlich näher.
Bei der Jagdsequenz ORIENTEIREN – FIXIEREN – ANPIRSCHEN – HETZEN – ERGREIFEN – TÖTEN UND – FRESSEN, wurden die ersten hypertrophiert (züchterisch stark verstärkt) und die Endhandlung des Packens, Tötens und Fressens gehemmt. Für den Border Collie ist das bei der Arbeit ein ständiger Spannungszustand. Er soll fixieren, pirschen und losrennen und wird dann wieder gestoppt. Dann wieder losgeschickt, und wieder gestoppt. Dazu muss man wissen, das Jagdverhalten selbstbelohnend ist, auch ohne je eine Beute gefangen zu haben. Border Collies aus einer Arbeitslinie, also Gebrauchshunde, brauchen auch kein Beuteschema mehr. Bewegungsreize reichen aus. Das Verhalten wird schon im frühesten Welpenalter gezeigt und ist genetisch fest verankert. Im Laufe der Zeit passiert es häufig, dass andere Hunde fixiert werden, alle möglichen Tiere, Insekten, Menschen, Jogger, rennende Kinder, Fahrräder, Autoreifen (!), sogar Schatten oder Zigarettenrauch, alles, was sich bewegt. Deswegen sieht man bei diesen Hunden das oben beschriebene Verhalten besonders häufig.

 
Posted on December 16, 2021 and filed under Alltag mit Hund, Rücksicht und Miteinander.